Betriebsratsgründung im Nebenjob: Kündigung war rechtswidrig – 100.000 Euro Entschädigung für Jurastudent

24. September 2025

Ein Jurastudent war seit 2018 als Kellner in einem Gastronomiebetrieb in München geringfügig beschäftigt. In der ersten Hälfte des Jahres 2021 unternahm er Schritte, einen Betriebsrat zu gründen. Bald danach wurde er nicht mehr in den Dienstplan aufgenommen. Als er seinen Anspruch auf Lohn (Annahmeverzug) geltend machte, sollte er wieder arbeiten – allerdings nicht mehr im Service, sondern nun in der Küche. Er weigerte sich, woraufhin der Arbeitgeber fristlos kündigte mit der Behauptung „beharrliche Arbeitsverweigerung“.

In der Berufung gab das Landesarbeitsgericht München (Az. 11 Sa 456/23) ihm in weiten Teilen Recht: Die Kündigung war rechtswidrig und diente der Verhinderung seiner Betriebsratsinitiative. Es sprach ihm umfassende Entschädigungs- und Lohnansprüche, eine schriftliche Entschuldigung und sechs Monate bezahlten Urlaub zu.

Hintergrund: Kündigung nach Betriebsratsinitiative

Der Student war seit Jahren als Kellner beschäftigt, offiziell als Minijobber, tatsächlich aber mit deutlich höherem Stundenumfang. Als er eine Betriebsratswahl vorbereitete, entzog man ihm Dienstschichten, versetzte ihn in die Küche und kündigte schließlich fristlos, mit der Begründung „beharrliche Arbeitsverweigerung“.

Brisant: In der Kündigungsbegründung verwies der Arbeitgeber auf das junge Alter des Studenten, seine fehlenden Unterhaltspflichten und seine Teilzeitbeschäftigung, das Landesarbeitsgericht wertete dies als Altersdiskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG).

Das Urteil: Rechtswidrige Kündigung, persönliche Haftung und umfassender Schadensersatz

Das LAG München sprach dem Kläger zahlreiche Ansprüche zu – unter anderem:

  • Annahmeverzugslohn für über Jahre nicht eingeteilte Dienste
  • Entgangenes Trinkgeld: pauschal 100 Euro pro Schicht
  • Wertausgleich für entgangene Sachbezüge (vergünstigte Speisen und Getränke)
  • Nachzahlung unvergüteter Arbeitszeit und Überstunden
  • Rückzahlung unzulässiger Lohnabzüge (z. B. sog. Gläsergeld)
  • Erstattung von Waschkosten für Arbeitskleidung
  • Sechs Monate bezahlter Urlaub wegen fehlender Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers
  • Schriftliche Entschuldigung für diskriminierende Aussagen
  • Durchgriffshaftung auf den Geschäftsführer persönlich

Besonders bemerkenswert: Das Gericht durchbrach die typische Haftungsbeschränkung einer GmbH. Der Geschäftsführer wurde persönlich haftbar gemacht, weil er durch sein Verhalten bewusst gegen Schutzgesetze wie § 20 Abs. 2 BetrVG verstoßen hatte.

Relevanz für Beschäftigte auf dem Oktoberfest und in der Gastronomie

Viele Beschäftigte im Gastgewerbe arbeiten auf Minijob-Basis, in Teilzeit oder kurzfristig, oft ohne klare Regelungen oder mit informellen Arbeitsabläufen.
Dieses Urteil zeigt: Auch unter diesen Bedingungen gelten klare arbeitsrechtliche Schutzmechanismen, insbesondere bei der Gründung eines Betriebsrats.

Was bedeutet das für Arbeitnehmer:innen, die einen Betriebsrat gründen wollen?

Arbeitnehmervertretung ist gesetzlich geschützt. Wer versucht, einen Betriebsrat zu gründen, darf nicht benachteiligt, ausgegrenzt oder gekündigt werden. Tut ein Arbeitgeber es dennoch, drohen erhebliche finanzielle Konsequenzen, bis hin zur persönlichen Haftung der Geschäftsführung.

Gerade im Festbetrieb, auf dem Oktoberfest oder in ähnlichen Beschäftigungen sind Arbeitgeber oft schlecht beraten, wenn sie Initiativen zur Mitbestimmung unterdrücken. Das LAG München hat mit diesem Urteil unmissverständlich klargestellt: Rechte gelten auch im Bierzelt.

Grundvoraussetzungen für die Gründung eines Betriebsrats

Ein Betriebsrat kann nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) gegründet werden, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Im Betrieb sind mindestens fünf wahlberechtigte Arbeitnehmer:innen beschäftigt, von denen mindestens drei wählbar sind (§ 1 BetrVG).
  • Wahlberechtigt sind alle Arbeitnehmer:innen ab dem 16. Lebensjahr, einschließlich Minijobber:innen, Teilzeitkräfte und Auszubildende.
  • Wählbar ist, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat und dem Betrieb in der Regel seit mindestens sechs Monaten angehört (§ 8 BetrVG).
  • Die Initiative zur Wahl kann von mindestens drei Beschäftigten, einem bestehenden Betriebsrat, einer Gewerkschaft oder dem Gesamt-/Konzernbetriebsrat ausgehen.
  • In einer Betriebsversammlung wird ein Wahlvorstand gewählt, der die Wahl vorbereitet und durchführt.

Der Arbeitgeber darf die Wahl nicht behindern und muss organisatorische Unterstützung leisten. Die Gründung ist jederzeit zulässig, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind – unabhängig davon, ob es vorher bereits einen Betriebsrat gab.

Klare Linie für Betriebsratsgründer:innen – auch im Nebenjob

Wer sich für Mitbestimmung einsetzt, ist nicht allein. Dieses Urteil schafft neue Handlungsspielräume, auch für scheinbar „rechtlose“ Beschäftigte wie Minijobber:innen, Aushilfen oder studentische Arbeitskräfte.

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Wenn Sie Fragen hierzu haben oder rechtlich prüfen lassen möchten, welche Möglichkeiten Sie in Ihrem Fall haben, unterstützen wir Sie gerne.

RA Leon Kolz

Rechtsanwalt Leon Kolz

Bagusche + Partner
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Bahnhofstraße 38
66111 Saarbrücken

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