Nach dem vielbeachteten Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. Juni 2025 (III ZR 109/24), über das wir berichteten, hat der III. Zivilsenat seine Linie nun weiter gefestigt.
Mit dem aktuellen Urteil III ZR 173/24 bestätigt und präzisiert der BGH, dass viele Online-Coaching-Programme den Anforderungen des Fernunterrichtsschutzgesetzes (FernUSG) unterliegen – und ohne ZFU-Zulassung nichtig sind.
1. Hintergrund: Das erste BGH-Urteil (III ZR 109/24)
Im Sommer 2025 hatte der BGH erstmals entschieden, dass Online-Coachings, die entgeltlich Wissen vermitteln und eine Lernerfolgskontrolle enthalten, Fernunterricht im Sinne des § 1 Abs. 1 FernUSG darstellen.
Zentrale Aussagen des damaligen Urteils waren:
- Das FernUSG gilt auch für Online-Formate, nicht nur für klassische Fernlehrgänge.
- Eine ZFU-Zulassung nach § 12 Abs. 1 FernUSG ist zwingend erforderlich.
- Der Schutzbereich des Gesetzes umfasst auch Unternehmer (z. B. Existenzgründer), nicht nur Verbraucher.
- Fehlt die Zulassung, ist der Vertrag nichtig (§ 7 Abs. 1 FernUSG); der Anbieter hat keinen Vergütungsanspruch.
Diese Entscheidung hatte bereits erhebliche Auswirkungen auf die Coaching-Branche.
2. Der aktuelle Fall: „E-Commerce Master Club“
Im nun entschiedenen Fall bot die Beklagte einen sogenannten „E-Commerce Master Club“ an – ein Programm mit Video-Modulen (z. B. rechtliche Grundlagen, Produktsuche, Marketing), wöchentlichen Coaching-Calls, einem „VIP-E-Mail-Support“ und einer Facebook-Gruppe, sowie einem Zertifikat nach erfolgreichem Abschluss.
Die Beklagte verfügte über keine ZFU-Zulassung. Der Teilnehmer verweigerte die Zahlung der vereinbarten 7.140 €, woraufhin der Anbieter klagte.
Sowohl das LG Osnabrück als auch das OLG Oldenburg wiesen die Klage ab. Der BGH bestätigte diese Entscheidungen nun endgültig.
Der BGH stellt klar: „Der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag ist gemäß § 7 Abs. 1 FernUSG nichtig, weil die Beklagte für den angebotenen ‚E-Commerce Master Club‘ nicht über die nach § 12 Abs. 1 Satz 1 FernUSG erforderliche Zulassung verfügte.“
3. Wiederholung und Bestätigung der Kernpunkte
Das neue Urteil wiederholt und bestätigt die Grundsätze aus III ZR 109/24:
Weite Auslegung der Wissensvermittlung
„Kenntnisse und Fähigkeiten“ im Sinne des § 1 Abs. 1 FernUSG umfassen jegliche Lerninhalte – gleichgültig welchen Inhalts oder Niveaus.
Es genügt, dass Wissen oder Fertigkeiten vermittelt werden, auch praxisnah und ohne pädagogisches Konzept.
Räumliche Trennung auch bei Online-Coaching
Online-Calls, Videokurse und digitale Lernplattformen sind „räumlich getrennt“ im Sinne des Gesetzes. Eine physische Anwesenheit ist nicht erforderlich.
Weite Auslegung der Lernerfolgskontrolle
Bereits die Möglichkeit, Fragen zu stellen und Feedback zu erhalten (z. B. via Zoom, E-Mail oder Facebook-Gruppe), genügt für die „Überwachung des Lernerfolgs“.
Anwendbarkeit auf Unternehmer
Früher wurde in Rechtsprechung und Literatur teils angenommen, das Fernunterrichtsschutzgesetz richte sich ausschließlich an Verbraucher und finde auf Unternehmer keine Anwendung.
Der Bundesgerichtshof hat diese Auffassung inzwischen klar verworfen: Das FernUSG gilt gleichermaßen für Verbraucher wie für Unternehmer.
Damit festigt der BGH die Anwendung des FernUSG auf den gesamten Online-Coaching-Markt, unabhängig von der Bezeichnung der Programme.
4. Neue Klarstellungen und Erweiterungen
Über die bloße Wiederholung hinaus bringt das neue Urteil wichtige Konkretisierungen:
Schwerpunktbetrachtung bei Mischverträgen
Auch bei Mischverträgen mit „Coaching“, „Community“ oder „Networking“-Elementen gilt, dass der Schwerpunkt die Rechtsnatur bestimmt.
Liegt dieser auf der systematischen Wissensvermittlung und Lernbegleitung, handelt es sich um Fernunterricht – Zusatzangebote ändern daran nichts.
Einbindung von Community-Elementen
Im entschiedenen Fall wertete der BGH den Zugang zu einer Facebook-Gruppe und zum E-Mail-Support nicht als eigenständiges Netzwerkangebot, sondern als Teil des Lernprozesses. Nach den vertraglichen Vereinbarungen sollten diese Kommunikationskanäle den Teilnehmern ermöglichen, Fragen zu stellen, Verständnisprobleme zu klären und Rückmeldungen zu erhalten – also den Lernerfolg zu überprüfen und zu fördern. Damit dienten sie im konkreten Fall der Überwachung des Lernerfolgs im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 FernUSG.
Praktischer Nutzwert unerheblich
Es ist nicht erforderlich, dass die vermittelten Lerninhalte in einem systematisch-didaktischen Aufbau erfolgen. Auch praxisorientierte oder weniger strukturierte Schulungen können unter das Fernunterrichtsschutzgesetz fallen, sofern eine planmäßige Vermittlung von Kenntnissen oder Fähigkeiten beabsichtigt ist. Entscheidend ist, dass Lerninhalte tatsächlich vermittelt oder vertieft werden sollen. Rein beratende oder individuell angepasste Coachings ohne klaren Lehr- oder Schulungscharakter sind dagegen in der Regel nicht vom Anwendungsbereich des Gesetzes erfasst.
Werbeaussagen wie „Erfolgscoaching bis 3.000 € Monatsgewinn“
Der BGH sah in der Zusage, der Teilnehmer werde „solange gecoacht, bis er 3.000 € Monatsgewinn erzielt“, keine eigenständige Leistungsvereinbarung, sondern lediglich eine werbende Anpreisung des bestehenden Angebots. Die Formulierung diente nach Ansicht des Gerichts nur der Beschreibung und Bewerbung der bereits im Vertrag geregelten Leistungen und änderte nichts am Unterrichtscharakter des Programms.
Damit schafft der BGH weitere Klarheit: Die formale Struktur und Vermarktung eines Coachings ist irrelevant – entscheidend bleibt der tatsächliche Inhalt und Zweck.
5. Bedeutung für Anbieter und Teilnehmer
Für Anbieter:
- Eine ZFU-Zulassung ist zwingend erforderlich, wenn das Angebot Wissensvermittlung und Betreuung kombiniert.
- Ohne Zulassung: Nichtigkeit, kein Anspruch auf Vergütung (§ 7 Abs. 1 FernUSG).
- Der Versuch, durch Bezeichnungen wie „Mentoring“, „Mastermind“ oder „Community-Programm“ eine Zulassungspflicht zu umgehen, scheitert regelmäßig.
Für Teilnehmer:
- Verträge ohne ZFU-Zulassung sind unwirksam.
- Bereits gezahlte Beträge können zurückverlangt werden.
- Eine Berufung auf Unternehmerstatus des Kunden schließt den Schutz nicht aus.
Fazit
Mit dem Urteil III ZR 173/24 setzt der BGH seine Linie konsequent fort und präzisiert zugleich zentrale Tatbestandsmerkmale des Fernunterrichtsrechts. Das Urteil stärkt den Verbraucherschutz und schafft mehr Rechtssicherheit im digitalen Bildungs- und Coachingmarkt. Zugleich erhöht es den Druck auf Anbieter, ihre Programme rechtlich zu prüfen und ggf. eine ZFU-Zulassung einzuholen.
Bei Fragen zu diesem Thema sprechen Sie uns gerne an.
RA Christoph Wendt

