Was passiert mit einer vereinbarten Vertragsstrafe, wenn der Vertrag später rückabgewickelt wird?
Diese Frage war bislang in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Die Meinungen reichten von einem automatischen Wegfall der Pönale bis hin zu einem Fortbestand bereits verwirkter Ansprüche.
Mit seinem Urteil vom 22. Mai 2025 (Az. VII ZR 129/24) hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun eine klare und praxisrelevante Antwort gegeben:
Eine bereits verwirkte Vertragsstrafe bleibt auch dann bestehen, wenn der Gläubiger später vom Vertrag zurücktritt.
Damit stärkt der BGH die Durchsetzung von Vertragsstrafen insbesondere in Bau-, Werk- und Bauträgerverträgen und gibt wichtige Hinweise für die Vertragsgestaltung.
Der Sachverhalt: Bauträgervertrag mit Longstop-Klausel und Vertragsstrafe
Im zugrundeliegenden Fall schlossen die Parteien einen notariellen Bauträgervertrag über den Erwerb eines sanierungsbedürftigen Fabrikgebäudes, das der Verkäufer bis zu einem bestimmten Datum in Wohnraum umbauen sollte.
Der Vertrag enthielt zwei entscheidende Regelungen:
- Fertigstellungstermin: Das Bauvorhaben sollte bis zum 17. Oktober 2020 abgeschlossen und übergeben werden.
- Vertragsstrafe: Für jeden Werktag der Überschreitung wurde eine Vertragsstrafe von 1.276,57 € vereinbart, höchstens jedoch 5 % des Kaufpreises.
Daneben sah der Vertrag eine sogenannte „Longstop-Klausel“ vor: Sollte der Kaufpreis bis zum 15. August 2022 nicht fällig werden, durfte jede Partei bis zum 15. Dezember 2022 vom Vertrag zurücktreten.
Da die Arbeiten nicht rechtzeitig abgeschlossen wurden, erklärte die Käuferin im Dezember 2022 den Rücktritt – machte aber zugleich die bereits verwirkten Vertragsstrafen in Höhe von rund 365.000 € geltend.
Der Bauträger verweigerte die Zahlung. Seine Argumentation: Mit dem Rücktritt sei der Vertrag aufgehoben, alle gegenseitigen Pflichten – einschließlich der Vertragsstrafe – seien damit entfallen.
Das Kammergericht Berlin gab der Käuferin Recht. Der BGH bestätigte diese Entscheidung in der Revision.
Die Entscheidung des BGH
Der BGH stellte in seinem Urteil klar, dass der Rücktritt gemäß §§ 346 ff. BGB zwar zur Rückabwicklung des Vertrags führt und die primären Leistungspflichten (z. B. Bauleistung, Kaufpreiszahlung) entfallen.
Dies bedeutet aber nicht, dass auch bereits verwirkte Nebenansprüche – wie eine Vertragsstrafe – automatisch wegfallen.
Begründung des BGH
- Systematik der §§ 339 ff. BGB:
Die Vertragsstrafe ist ein eigenständiger Anspruch, der bereits mit dem Eintritt der Pflichtverletzung entsteht. Sie ist nicht bloß akzessorisch zur Hauptpflicht, sondern ein selbstständiges Druck- und Sanktionsmittel. - Kein gesetzlicher Grund für Wegfall:
Weder aus § 346 BGB (Rücktritt) noch aus § 242 BGB ergibt sich ein zwingender Wegfall bereits verwirkter Vertragsstrafen. Der Gesetzgeber hat diese Folge nicht angeordnet. - Zweck der Vertragsstrafe:
Die Pönale soll den Schuldner zur rechtzeitigen Erfüllung anhalten und den Gläubiger für Verzögerungen entschädigen.
Würde die Strafe mit dem Rücktritt entfallen, könnte der Schuldner den Rücktritt gezielt herbeiführen, um sich der Sanktion zu entziehen – das wäre mit dem Normzweck unvereinbar. - Abweichende Vereinbarung bleibt möglich:
Selbstverständlich können die Parteien vertraglich festlegen, dass eine Vertragsstrafe im Falle des Rücktritts entfällt. Ohne eine solche Regelung gilt jedoch der gesetzliche Grundsatz: „Verwirkt bleibt verwirkt.“
Dogmatische Einordnung: Verwirkung und Fortbestand
Der BGH verwendet hier konsequent den Begriff der „Verwirkung“ im technischen Sinn des § 339 BGB:
Eine Vertragsstrafe ist verwirkt, sobald der Schuldner seine Pflicht verletzt – im Fall des Bauträgers also, sobald der Fertigstellungstermin schuldhaft überschritten wird.
Mit der Verwirkung entsteht ein selbstständiger Zahlungsanspruch, der vom weiteren Schicksal des Vertrags unabhängig ist.
Der spätere Rücktritt ändert daran nichts mehr.
Nur wenn der Rücktritt vor Eintritt der Pflichtverletzung erklärt wird (also bevor die Vertragsstrafe verwirkt ist), entsteht der Anspruch gar nicht erst.
Praktische Bedeutung für die Vertragsgestaltung
Für Auftraggeber und Käufer
Das Urteil stärkt die Rechtsposition von Bestellern und Erwerbern erheblich:
- Sanktionen bleiben wirksam: Auch wenn der Vertrag später scheitert, kann die Vertragsstrafe für vorangegangene Pflichtverletzungen geltend gemacht werden.
- Klarheit bei der Anspruchsdurchsetzung: Rücktritt und Vertragsstrafe schließen sich nicht aus – beide können nebeneinander bestehen.
- Beweisführung entscheidend: Für die Geltendmachung ist der Zeitpunkt der Pflichtverletzung nachzuweisen (z. B. Bauzeitenpläne, Abnahmeprotokolle, Schriftverkehr).
Praxis-Tipp:
Vor Erklärung des Rücktritts sollte geprüft werden, ob die Voraussetzungen der Vertragsstrafe bereits eingetreten – also die Strafe verwirkt – sind. Ist das der Fall, kann der Anspruch trotz Rücktritt bestehen bleiben.
Für Unternehmer und Bauträger
Auch Unternehmer sollten das Urteil ernst nehmen:
- Klauselgestaltung überprüfen: Wenn die Vertragsstrafe bei Rücktritt nicht fortgelten soll, muss das ausdrücklich im Vertrag geregelt werden.
Etwa durch Formulierungen wie:
„Mit Ausübung des Rücktrittsrechts entfallen alle Ansprüche aus Vertragsstrafe.“
- Risikomanagement: Die Entscheidung erhöht das Risiko, dass trotz Rücktritt erhebliche Vertragsstrafen geltend gemacht werden können.
- Zeitmanagement dokumentieren: Fristen, Genehmigungen und Nachtragsverhandlungen sollten sauber dokumentiert werden, um spätere Verschuldensvorwürfe zu vermeiden.
Bewertung und Ausblick
Der BGH hat mit dieser Entscheidung ein praxisrelevantes Spannungsverhältnis aufgelöst.
Die Linie ist klar: Der Rücktritt beseitigt den Vertrag, aber nicht automatisch die Sanktionen für bereits begangenes Fehlverhalten.
Das Urteil passt sich dogmatisch nahtlos in das System der §§ 339 ff. BGB ein und wahrt zugleich die Schutzfunktion der Vertragsstrafe. Es schafft Rechtssicherheit für die Praxis – und dürfte künftig auch in anderen Konstellationen (z. B. Werkverträge, Lieferverzögerungen) Bedeutung entfalten.
Fazit
Eine bereits verwirkte Vertragsstrafe bleibt auch nach einem Rücktritt vom Vertrag bestehen, sofern keine abweichende Vereinbarung getroffen wurde.
Für die Vertragsgestaltung bedeutet das Urteil, dass Vertragsstrafenklauseln künftig ausdrücklich regeln sollten, ob sie im Falle eines Rücktritts fortbestehen oder entfallen. Dadurch lässt sich vermeiden, dass über den Bestand der Vertragsstrafe später gestritten wird. Zugleich gewinnen Auftraggeber mehr Rechtssicherheit bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche, während Unternehmer verstärkt darauf achten müssen, Leistungen fristgerecht zu erbringen und etwaige Verzögerungen oder Fristverlängerungen sorgfältig zu dokumentieren.
Wenn Sie Fragen hierzu haben oder rechtlich prüfen lassen möchten, welche Möglichkeiten Sie in Ihrem Fall haben, unterstützen wir Sie gerne.
RA Christoph Wendt